Die Qualität der Ich-Aussage

Koloman Moser - Illustration mit Selbstportrait

Das ICH als literarisches Stilmittel ist selten erlaubt; nutzt der Schreiber, die Schreiberin es dennoch, kommt gleich eine neue Hürde hinzu. Als Literatur – so die großen, fast unerreichbaren Maßstäbe – gelte nur das, was frei erfunden ist; vielleicht nur wenig der eigenen Biographie hinzugefügt, aber doch soweit verfremdet, daß der Protagonist, die Protagonistin nicht mehr als solches erkennbar ist.

Es gibt Ausnahmen, gesellschaftlich anerkannt, wenigstens zum Teil, beispielsweise die Tagebücher der Anais Nin. Doch auch hier die Eingrenzung über das Genre des Tagebuchs. Gänzlich anders in der Malerei oder in der Photographie; hier wird die Ich-Aussage nicht nur geduldet, hier ist sie ausdrücklich erwünscht.

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Geschichten aus dem Geschichtenbauch

Early Arts Of Little Buddha 1964

„Sag mal Papa,“ so begann mein Sohn, kuschelte sich an mich und stellte mir eine Frage, die ihn schon lange beschäftigte.

„Warum lesen die meisten Erwachsenen Geschichten vor? Warum erzählen sie keine Geschichten?“

Ich schaue ihn interessiert an, denn ich wußte, daß er vor kurzem mit Eltern und Kindern eine Märchenwanderung in Waldesland erlebt hatte. Er ist gerne mittendrin in einem Geschehen, freut sich der Dinge, die da so kommen und liebt es, Begebenheiten, die ihm auffallen, auf den Grund zu gehen.

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„Schreiben wurde Herausforderung“

Ein Weg zur Erzählkunst

Arthur Conan Doyle 1913

Mit Literatur groß zu werden, mit einem schriftstellerischen Etwas, das aus irgendeinem Grund gesellschaftlich hoch gelobt wird oder tatsächlich gut ist, weil es einem gefällt, erzeugt ein inneres Abbild, das Ansprüche stellt, wann eine Geschichte oder ein Roman persönliche Wertschätzung ersten Ranges bekommt. Ich habe als Kind Krimis geliebt und alle möglichen Edgar Wallace Krimis verschlungen, die ich in der väterlichen Bibliothek heimlich oder offiziell ausleihen konnte. Schnell kam Georges Simenon hinzu, ein wenig später Agatha Christie, gefolgt von Sir Arthur Conan Doyle.

Bücher sind wie Filme Leben aus zweiter Hand, haben jedoch einen Unterhaltungswert, der irgendwie aus unterschiedlichen Kombinationen besteht. Lust auf Abenteuer und Erzählkunst; Freude auf Abwechslung und Entspannung, Lernen auf Metaebenen – und ganz profan, die Kunst, die Zeit zu gestalten, entweder, weil es nichts anderes gibt, dann wird der Krimi zum Medikament ohne schädliche Nebenwirkungen, oder in Ermangelung wirklichen Lebens zum preiswerten Home-Entertainment.

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Adams Idiot

1968. Welch wunderbares Jahr. Eine längst überfällige Revolte fand stand, wurde jedoch von den Herrschenden im Keim erstickt, ohne dass es von vielen bemerkt wurde. Ich freute mich seit ein paar Jahren auf dieses Jahr, denn ich wusste sehr früh, was ich umgehend nach meinem 14. Geburtstag tun würde. Weil ich kein Interesse am Religionsunterricht hatte, würde ich unmittelbar austreten, erst aus dem Unterricht, dann aus der Kirche. Warum es in der Schule erlaubt war, Kinder mit einer menschenfeindlichen Ideologie zu tränken, konnte ich nicht verstehen. Ich hatte intuitiv recht früh verstanden, dass das Christentum sex- und kinderfeindlich ist, und wäre ich Adam gewesen, hätte ich mich nicht mit Eva von irgendeinem Idioten aus dem Paradies vertreiben lassen.

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Die Heilung des Inneren Kindes

Little Buddha 1955

Gibt es eine Notwendigkeit, sich um das Innere Kind zu kümmern? Eine interessante Frage. Mein inneres Kind könnte antworten: „Warum? Ich habe mich doch immer durchgesetzt.“ Mein innerer Youngster hingegen würde mit den Schultern zucken und sagen: „Was soll’s? Ich setze alles dran, um sieben tantrische Nächte hintereinander zu verbringen.“

Warum ich anfing, mich mit der Idee des Inneren Kindes anzufreunden, weiß ich nicht mehr so genau. Das Einzige, von dem ich jahrelang träumte, war eine Reise nach Poona, um dort eine Zeremonie namens „Born again“ mitzumachen. „Wunderbar ist diese Wiedergeburt,“ sagte meine Freundin Nitya, als sie 1996 aus Indien zurück. „Die machen das so toll, und so einzigartig. Das wäre genau das Richtige für Dich.“ Ich war begeistert. Weniger toll fand ich Nityas Scheu, mir etwas Genaueres zu erzählen. „Das ist verboten. Und außerdem würde ich Dir damit etwas kaputtmachen.“

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Insignien weltlicher Macht

„Nun,“ sagte Tammo, „von Tag zu Tag wachse ich und werde mutiger. Vielleicht habe ich Angst vor den Häschern der Inquisition, vielleicht auch deshalb, weil ich immer mehr mit dem Geschriebenen verhaftet bin. Ich bin nicht mehr so distanziert wie vor ein paar Tagen. Die Geschichte hat eine neue Dynamik bekommen. Das ist der Grund.“

Aus dem Roman „Tabu“

Friedland 2009

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Little Buddha 1958

Literarische Welten zu schaffen – welch lustvoller Prozess. Dass sich in der Arbeit am ersten Roman permanent Themen zeigten, die gesellschaftliche Relevanz haben, macht schon der Titel des kleinen Buches deutlich: Tabu.

Es ist nicht der Schriftsteller an sich, der auf solche Ideen kommt. Seit zwei Jahren habe ich das Gefühl, nicht mehr als EGO zu schreiben, sondern die Geschichten fließen aus mir heraus; ich brauche nichts anderes zu tun, als fleißig zuzuhören und mitzuschreiben – Ergebnis einer langen Entwicklung.

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Irrenhaus Schule?

Aus einem Briefwechsel. Zwei Jugendfreunde. Beide Jahrgang 1954.

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Lieber alter Freund,

was in Dir ist verletzt, nach dem Du die Novelle „Die Göttin in der Schule“ gelesen hast?

Nun der Versuch, Dich besser verstehen zu wollen; deshalb möchte ich Dich viele Fragen fragen. Und der Versuch, daß Du mich besser verstehst – deshalb ein paar Hinweise, Erinnerungen, Statements.

Seit wann hast Du sexuelle Fantasien?

Wie alt warst Du, als Du Deinen Körper sexuell kennengelernt hast?

Wie alt war das erste Mädchen, daß Du gestreichelt und geküßt hast?

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Angst fressen Seele auf

Garten der Lüste

„Du machst immer das, was Du willst,“ sagte eine liebe Freundin 1995 zu mir. In ihrer Stimme klang ein Vorwurf mit, den ich genau hörte, auch wenn ich mich ein klein wenig über die gut gemeinte Botschaft freute.

Ich hatte Lust auf Lust, ich hatte Lust auf Aktphotographie, ich wollte ein paar Monate nach Indien, ich wollte einen wilden Workshop auf Kreta veranstalten, aber ich war blockiert. Ich schrieb nette Artikel für die Kirchenzeitung, ich hatte Freude an der Portraitphotographie, ich liebte es, griechisch essen zu gehen und hatte zwei freie Sexbeziehungen zu einer Zeit. Dennoch fühlte ich mich nicht frei; auch wenn ich einen schönen Namen hatte, der in seiner Übersetzung meinem Wunsch des Frei-Seins seinen Ausdruck gab. Ajad means free.

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Literarischer Encounter

Taxe 42 - Bremen 1978

Würdest Du mit anderen Menschen in einen Encounter gehen wollen? Darf ich wütend sein, zornig und hinterlistig? Warum eigentlich nicht, wenn ich Spaß daran habe, oder habe ich einen Blankoscheck für sanfte Kommunikation unterschrieben, nur weil ich angefangen habe mit dem Großen Geist zu kommunizieren?

Vor ein paar Jahren habe ich einen Workshop bei Veeresh besucht, und sehr schnell wurde mir klar, dass ich in Sachen Konflikte einiges hinzulernen konnte, wenn ich es denn wollte. Aus dem wilden Burcado war ein Mann geworden, der sich nicht so recht traute, in den Konflikt hineinzugehen. Das innere Wenn und Aber erwies sich jedoch als Blockade für spontane Reaktionen. Veeresh hatte ein patentes Rezept. Wenn Du einen Verkehrsunfall hast, so einen ungefährlichen, aber mit viel Blechschaden, dann steigst Du aus und beschimpfst Deinen Gegner, so toll Du kannst. Der andere macht das ebenfalls; so die Regel des Rollenspiels. Haben sich die beiden genug aufgeregt, tief durchatmen, sich entschuldigen und dann nach den Ursachen bei sich selbst suchen.

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Mountain Time

Es ist Zeit, um auf den Berg zu gehen. Für die Indianer war es selbstverständlich, den Heiligen Berg zu besuchen, wenn große Veränderungen anstanden. Um mit dem Großen Geist, oder, wie wir es auch sagen, um mit dem Göttlichen zu kommunizieren, brauchen wir nicht viel – es ist der innere Wunsch, der uns andächtig mit einer spirituellen Dimension sprechen lässt.

Das Göttliche ist nicht fern von uns; es ist in uns. Indem wir wissen, wie wir es erreichen können, geht es ganz einfach, und wir brauchen nur zuzuhören. Es gibt ein einfaches und schönes Ritual; Du lüftest den Raum, oder bist im Freien, räucherst mit Salbei, verbindest Deine Augen, atmest sieben Mal tief durch, saugst den Atem in Deine Nasenlöcher ein, ziehst solange den Atem hoch, bis er Deinen inneren Berg erreicht – Deinen Heiligen Berg.

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